„Tragweite der Veränderung wird in der Branche unterschätzt“
Alexander Reitz von PreZero heizt die Debatte um die PPWR an. Auf der FACHPACK habe er mit Unternehmen gesprochen, die noch zu wenig über die Bedeutung der Verpackungsverordnung wüssten. FACHPACK360° hat nachgefragt. Hat die Verpackungsbranche Nachholbedarf?
Alexander Reitz, Teamleiter Customer Development & Consulting, beim Umweltdienstleister PreZero (Schwarz-Gruppe), spricht gern Klartext. In Interviews und im FACHPACK- Expertenforum PACKBOX erklärte er, dass Unternehmen in Fragen der Nachhaltigkeit in allen Branchen gefordert sind. „Nachhaltigkeit von Verpackungen ist heute nicht mehr optional“, sagte er. In den nächsten fünf Jahren sei eine komplette Transformation erforderlich.
Kurz nach der FACHPACK veröffentlichte Reitz auf LinkedIn aus der Sicht eines Branchenbeobachters unter der Headline „3 Erkenntnisse von 3 Tagen FACHPACK“ kritische Anmerkungen. Einige Auszüge: „Vielleicht lebe ich in einer Bubble. In meinem Arbeitsalltag dreht sich fast alles um Anforderungen aus der PPWR und Lösungsansätze dafür. Aber auf der FACHPACK war der Anteil von Personen, die vom größten Umbruch im Verpackungsmarkt aller Zeiten scheinbar noch wenig bis nichts mitbekommen hatten, erstaunlich hoch. Alternativ wird die Tragweite der Veränderung, die auf die Branche zukommt, unterschätzt.“
„Nachhaltigkeit wird inflationär verwendet“
Reitz wird noch drastischer: „Ich habe fast keinen Messestand entdeckt, an dem nicht in irgendeiner Form groß ,Sustainable‘, ,Green‘ oder sinngemäß ,Super-duper nachhaltig‘ stand. Bei einigen Angeboten mag dies auch berechtigt sein, bei vielen Ausstellern erschloss sich mir der Mehrwert für die Umwelt aber überhaupt nicht. Nachhaltigkeit wird inflationär verwendet und droht zum ausgehöhlten Begriff zu werden. Wenn die kommende Green Claims Directive auch für Messestände, gilt, bekommen einige in der Branche sicher ein Problem.“
Auf Nachfrage von FACHPACK360° führte Reitz seine Kritik näher aus: Das Wissen zur PPWR scheine ihm sehr ungleich verteilt. Seine „Diagnose“ sei nicht, dass alle in der Branche schlecht vorbereitet seien, sondern dass es ein Ungleichgewicht gebe. „Einerseits diejenigen, die jetzt beginnen und ihre Handlungsspielräume zur Anpassung ihres Business wahrzunehmen, andererseits Firmen, die eventuell wichtige Entwicklungen verschlafen.“
Sein persönlicher Eindruck aus Gesprächen am Stand von PreZero und an anderen Ständen während der FACHPACK sei, dass noch zu viele wenig bis nichts von der PPWR gehört hätten und/oder sich über deren Konsequenzen für das eigene Geschäft nicht im Klaren seien. „Wie sonst ist es zu erklären, wenn auf einer Verpackungsmesse von Unternehmen Lösungen als ‚nachhaltig‘ präsentiert werden, die in Europa ab 2030 nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen?“, fragt er, ohne Namen zu nennen.
Typische Anwendungsbeispiele, die er auf der FACHPACK sah, könne er aber nennen: Anbieter von komplexen Mutlilayer-Kunststofffolien, „die offensichtlich nicht den kommenden Anforderungen von mindestens 70 Prozent Recyclingfähigkeit genügen werden“. Oder Anbieter aufwendiger Geschenkverpackungen, die aufgrund des Minimierungsgebots / „Maximum Empty-Space-Ratio“ ab 2030 voraussichtlich nicht mehr verkehrsfähig sein würden. Er habe auch mit Anbietern von Kunststoffverpackungen gesprochen, die auf Nachfrage keine Strategie dafür benennen könnten, wie sie die Mindestrezyklateinsatzquoten der PPWR erfüllen wollten.
Dass Berater und Dienstleister derzeit Unternehmen attestieren, sie hätten Nachholbedarf in Sachen Nachhaltigkeit, sei nicht neu, so ein Branchenexperte gegenüber FACHPACK360°. Schließlich sei dies ein Geschäftsfeld und die PPWR ein neuer Anstoß, um Strategien zu entwickeln.
FACHPACK360° fragte auch Aussteller, was sie zur Kritik von Reitz sagen, ob aus ihrer Sicht der Vorwurf, die PPWR werde zu wenig umgesetzt, berechtigt sei. Mehrere Aussteller und Experten aus der Verpackungsindustrie haben sich bereits zur Umsetzung der PPWR bekannt und auch ihre Strategien vorgestellt. „Wer jetzt nicht handelt, riskiert signifikante Wettbewerbsnachteile“, hatte Claudia Rivinius von der STI-Group im Interview erklärt. Jakob Rinninger, CEO STI Group, hat eine deutliche Position: „Für die STI Group ist die Umsetzung der PPWR in der Verpackungsindustrie zentraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Mit unserem Circular-Innovation-Programm haben wir einen strukturierten Rahmen hierfür geschaffen, um unsere Kunden bestmöglich bei der Umsetzung der PPWR zu unterstützen. Im Fokus stehen für uns dabei die Themen Plastic to Fiber, die Maximierung der Verpackungseffizienz (Lightweight Packaging) sowie eine durchgängige Kreislauffähigkeit unserer Produkte.“ Für ihre Nachhaltigkeits-Bestrebungen und Leistungen in diesem Bereich sei die STI Group jüngst von EcoVadis mit Platinum bewertet worden. Rinninger weiter: „Die Inhalte der PPWR bewerten wir grundsätzlich positiv. Die vielen, teils nicht ausgereiften Markteingriffe aus Brüssel führen aber mehr und mehr zu einer Verunsicherung unserer Kunden und der Verbraucher – oftmals, ohne dass ein wirklicher Mehrwert belastbar dargelegt werden kann.“
Für Marzek Etiketten+Packaging sei Nachhaltigkeit Teil der Unternehmens-DNA. „In den 145 Jahren unserer Unternehmensgeschichte war es immer das Ziel, ein für künftige Herausforderungen noch besser gerüstetes und stabiles Unternehmen an die jeweils nachfolgende Generation zu übergeben. Daher sind alle Initiativen, die in Nachhaltigkeit und eine bessere Zukunft investieren, für uns selbstverständlich“, sagt Dr. Johannes Michael Wareka, CEO und 4. Generation der Eigentümerfamilie.
Aus diesem Grund liefen die Vorbereitungen auf die PPWR bei Marzek Etiketten+Packaging bereits auf Hochtouren. In umfangreichen hausinternen Schulungen mit externen Spezialisten sei der gesamte Verkaufsinnendienst und das Salesteam sowie das Management mit den Zielsetzungen der PPWR vertraut gemacht worden. „Unsere Kunden erhalten so eine kompetente Beratung, wie ihre Verpackung gemäß der EU-Verordnung PPWR optimiert werden kann. Es geht schließlich bei der PPWR nicht nur um das Etikett, sondern um die Verpackung als Gesamtlösung, bei der alle Komponenten der Recyclingfähigkeit im Verbund betrachtet werden müssen. In unserem Unternehmen ist es Standard, dass wir uns proaktiv vor dem Inkrafttreten auf neue Regulative vorbereiten, um sicherzustellen, dass unsere Produkte und Services stets den aktuellen Vorgaben entsprechen“, so Wareka.