Wieviel Potenzial steckt im chemischen Recycling?
Das chemische Recycling könnte da ins Spiel kommen, wo andere Verfahren nicht funktionieren. Beim chemischen Recycling werden Kunststoffabfälle teilweise oder komplett in ihre chemischen Bausteine zurückverwandelt. Um ohne fossile Rohstoffe auszukommen, arbeiten Unternehmen am Ausbau des neuen Verfahrens.
Der Trend ist positiv. Insgesamt wurden von den dualen Systemen 2023 im Vergleich zum Vorjahr mehr Verpackungen recycelt, so die aktuelle Statistik des Umweltbundesamts (UBA) und der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR). Bei den werkstofflich recycelten Kunststoffverpackungen stieg der Recyclinganteil von 2018 bis 2023 von 42,1 auf 68,9 Prozent.
In Deutschland werden etwa zwei Drittel des Abfalls, genau gesagt des Leichtverpackungsvolumens, mechanisch recycelt. Für das Recycling der restlichen Mengen kann das chemische Recycling eine Alternative zur Verbrennung sein. Denn dem chemischen Recycling wird die Möglichkeit der Ausschleusung von Schadstoffen zugesprochen.
Unternehmen aus Recyclingwirtschaft, Petrochemie und Kunststoffindustrie arbeiten derzeit am Ausbau des chemischen Recyclings. So sieht beispielsweise der Entsorger Interzero großes Potenzial, wie Dr. Richard von Goetze, Head of Chemical Recycling bei Interzero, erklärt. Bis 2026 will das Unternehmen in großem Stil chemisches Recycling betreiben.
Chemisches Recycling: verschiedene Technologien
Unter dem Begriff des chemischen Recyclings werden unterschiedliche Recyclingtechnologien zusammengefasst. Allen gemeinsam ist, dass aus kunststoffhaltigen Abfällen Flüssigressourcen hergestellt werden, die die Herstellung von Rezyklaten in Neuwarequalität ermöglichen. „Unter chemischem Recycling versteht man in der Regel Technologien, die lange Polymerketten durch chemische Reaktionen in ihre Grundbausteine zerlegen“, erläutert Dr. Christoph Gahn, Vice President Chemical Recycling BASF. Auch Unternehmen wie der Verpackungshersteller Südpack gehören zu denjenigen, die in Chemisches Recycling investieren. Rückendeckung gibt es zunehmend aus der Forschung. „Chemisches Recycling kann mit Stoffströmen umgehen, die mechanisch nicht zu recyceln sind – und damit Ressourcen schonen und Müllverbrennung vermeiden“, sagt Dr. Markus Hiebel, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation im Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT.
Allerdings hat noch keine Technologie für chemisches Recycling Marktreife erlangt. Einige Anbieter haben allerdings große Fortschritte gemacht und stehen kurz vor der Kommerzialisierung von Anlagen mit relevanten Kapazitäten.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Verband der Kunststofferzeuger Plastics Europe Deutschland (PED) haben ein Positionspapier zur Bemessung von Recyclinganteilen in Kunststoffprodukten vorgelegt. Damit wollen sie chemische Recyclingverfahren als Ergänzung zu mechanischen Verfahren vorantreiben.
Die vorgeschlagene Bemessungsgrundlage wird als Massenbilanzansatz bezeichnet. Über diesen Ansatz ließen sich die Anteile recycelter Rohstoffe nachvollziehbar einem Endprodukt zuordnen, erklären die beiden Verbände.
Das Umweltbundesamt kommt in einer aktuellen Studie zu folgendem Fazit: Das chemische Kunststoffrecycling kann – in technisch ausgereiften, energieintegrierten und optimierten Anlagen – grundsätzlich einen positiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten. Im Vergleich zur thermischen Behandlung können Treibhausgasemissionen eingespart werden. Aus energetischer Sicht sei der aufwändige Ansatz aktuell allerdings nicht die optimale Lösung, solange an anderer Stelle hochwertige fossile Rohstoffe zur Bereitstellung von thermischer Energie verbrannt werde. FACHPACK 360° hat dazu beim Umweltbundesamt nachgehakt. Dr. Julia Vogel, Fachgebietsleiterin Abfalltechnik, Abfalltechniktransfer, hat die Fragen beantwortet.
3 Fragen – 3 Antworten
Welches Potenzial sieht das Umweltbundesamt für den Verpackungsbereich im chemischen Recycling?
Grundsätzlich gilt, dass Kunststoffverpackungen in erster Linie werkstofflich recycelt werden sollten (mechanisch, physikalisch; unter Erhalt des Kunststoffs / der Polymerketten). Das ist energetisch effizienter und ökologisch sinnvoller. Eine Prämisse der Verpackungsgestaltung muss daher sein, dass sie werkstofflich recyclingfähig sind. Nicht werkstofflich recyclingfähige Kunststoffverpackungen, Sortierreste oder Aufbereitungsreste aus dem werkstofflichen Recycling, welche bisher in die energetische Verwertung gehen, wären ein potenzieller Input für ein chemisches Recycling.
Chemische Recyclingverfahren werden insbesondere zur Erfüllung der in der EU-Verpackungsverordnung vorgegebenen Einsatzquoten von Post-Consumer-Rezyklaten (gelten ab 2030 und steigen ab 2040 nochmals an) für kontaktsensitive Kunststoffverpackungen als notwendige Voraussetzung angesehen – speziell für solche Verpackungen, die nicht aus PET sind, sondern aus PP, PE oder PS. Das liegt daran, dass gemäß der EU-Verordnung 2022/1616 derzeit nur werkstoffliche Recyclingverfahren für PET-Kunststoffabfälle sowie für Kunststoffabfälle aus geschlossenen und überwachten Produktkreisläufen als geeignet eingestuft werden, um damit Kunststoffrezyklate für Materialien mit Lebensmittelkontakt herstellen zu dürfen. Derzeit ist nicht absehbar, ob bis 2030 darüber hinaus noch weitere werkstoffliche Recyclingverfahren für den Lebensmittelkontakt als geeignet betrachtet und zugelassen werden, speziell für Nicht-PET-Kunststoffabfälle.
Chemisches Recycling verbraucht zu viel Energie, sagen Kritiker. Warum ist es aus ihrer Sicht dennoch ein Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft?
Chemisches Recycling kann eine sinnvolle Alternative zur energetischen Verwertung sein, wenn ein werkstoffliches Recycling nicht möglich ist oder auch, wenn werkstoffliches Recycling nicht zu den erwünschten Rezyklatqualitäten führt.
Beim chemischen Recycling werden Monomere oder Rohstoffe für die chemische Industrie zurückgewonnen und müssen nicht neu produziert werden, dadurch können fossile Rohstoffe eingespart werden. Recycling ist daher eine der wesentlichen Säulen, wenn es um die Defossilisierung der chemischen Industrie geht (neben dem Einsatz biobasierter Rohstoffe oder der Nutzung von CO2 (CCU)). Hier sollte die Priorität zwar auf werkstofflichen Verfahren liegen, jedoch sind nicht alle Kunststoffabfälle werkstofflich recyclingfähig und es sind auch nicht für alle Anwendungen die notwendigen Rezyklatqualitäten erzielbar. Chemische Verfahren könnten hier eine gute Ergänzung bieten.