Chemisches Recycling: Ein Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie?
05.07.2024 Insights Innovative Processes Artikel

Chemisches Recycling: Ein Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie?

Kunststoffe sind unverzichtbar, doch ihr Recycling ist oft schwierig: Beinahe zwei Drittel werden nach dem Gebrauch verbrannt. Chemisches Recycling bietet eine Lösung: Es zerlegt Kunststoffe in ihre Grundbausteine, die dann wiederverwendet werden können.

Ein kleines Fläschchen mit dunkelfarbigen, flüssigen Sekundärrohstoffen und daneben eine größere Flasche mit zerkleinertem Kunststoffabfall. Beim chemischen Recycling können komplizierte Kunststoffabfälle in kohlenwasserstoffhaltige Sekundärrohstoffe umgewandelt werden. Zum Beispiel in Wachse, Öle und Gase.

Unzählige moderne Anwendungen wären ohne Kunststoffe nicht möglich. Das Material punktet mit Eigenschaften wie Leichtigkeit, Haltbarkeit, Flexibilität und Korrosionsbeständigkeit. Die Zusammensetzung der Kunststoffprodukte ist aber ebenso vielfältig wie ihre Anwendungen und erschwert häufig das mechanische Recycling am Ende ihrer Nutzungsdauer. Die Folge: Downcycling oder Verbrennung. Mit dem chemischen Recycling soll sich das nach der Vorstellung vieler Kunststoffhersteller nun ändern.

Unter dem Begriff des chemischen Recyclings werden unterschiedliche Recyclingtechnologien zusammengefasst. Allen gemeinsam ist, dass aus kunststoffhaltigen Abfällen Flüssigressourcen hergestellt werden, die die Herstellung von Rezyklaten in Neuwarequalität ermöglichen.

„Unter chemischem Recycling versteht man in der Regel Technologien, die lange Polymerketten durch chemische Reaktionen in ihre Grundbausteine zerlegen“, erläutert Dr. Christoph Gahn, Vice President Chemical Recycling BASF. Diese Sekundärrohstoffe können dann verwendet werden, um fossile Rohstoffe in der chemischen Produktion zu ersetzen. Die verschiedenen chemischen Recyclingverfahren unterscheiden sich laut Gahn in ihrem technologischen Reifegrad und in der Verarbeitbarkeit der unterschiedlichen Abfallströme. Bekanntestes Verfahren ist im Moment die sogenannte Pyrolyse, bei der Kunststoffe in Pyrolyseöle umgewandelt werden. 

 

Verfahren mit Vor- und Nachteilen

Eine weitere gängige Methode ist die Depolymerisation von Kunststoffen, auch bekannt als Solvolyse oder Remonomerisierung. Bei diesem Verfahren werden die Kunststoffe in ihre Monomere zerlegt, aus denen das Polymer wieder aufgebaut werden kann. Das aus der Depolymerisation gewonnene Material tritt also zu einem späteren Zeitpunkt als Pyrolyseöl oder Synthesegas wieder in die chemische Wertschöpfungskette ein. „Das bedeutet aber auch, dass für dieses Verfahren sortenreine Kunststoffabfälle benötigt werden“, erläutert Christoph Gahn. Geeignete Einsatzstoffe sind einzelne Kunststoffe wie Polyethylenterephthalat (PET), Polyamid (PA) oder Polyurethan (PUR). Gahn ist überzeugt, dass all diese Technologien benötigt werden, um die lineare Kunststoff-Wertschöpfungskette in eine Kreislaufwirtschaft umzuwandeln.

Südpack setzt beim chemischen Recycling mit der Carboliq-Technologie auf die Depolymerisation. Im Gegensatz zum Pyrolyseverfahren, bei dem Kohlenwasserstoffketten bei Temperaturen von meist mehr als 650 °C aufgespalten werden, arbeitet diese Technologie bei Temperaturen unter 400 °C. Aufgrund der niedrigen Prozesstemperaturen und der Einbringung von Energie in das Material ausschließlich durch Friktion geht der Kunststoff aus seiner festen Phase fast nahtlos in seine flüssige Phase (Verölung) über. „Dadurch, dass unsere Technologie bei unter 400 °C arbeitet, werden Verkokungen und die Bildung von Pyrolysegasen fast vollständig vermieden. Die gasförmige Phase nimmt weniger als 2 % des Prozesses ein. Dieses Gas wird heute thermisch verwertet, kann in einer Großanlage aber beispielsweise auch in einem Blockkraftheizwerk zur Erzeugung von Strom verwendet werden“, erklärt Dirk Hardow, Chief Executive Business Unit Functional Films & Compounds bei Südpack und CEO bei Carboliq.

 

Mechanisches Recycling soll nicht ersetzt werden

Das chemische Reycling nimm Fahrt auf und das Projekt von Südpack kann sich unter mehr als 100 Projekte in diesem Bereich weltweit einreihen. Dennoch sieht die Branche die Technologie nur als Ergänzung zum mechanischen Recycling. „Kunststoffabfälle, die technisch, ökobilanziell und wirtschaftlich sinnvoll mechanisch recycelt werden können, sollten auch so verwertet werden“, betont Dr. Alexander Kronimus, Geschäftsführer von Plastics Europe Deutschland. „Das gilt für alle Kunststoffabfälle, auch im Bereich von Leichtverpackungen. Die getrennte Sammlung und Aufbereitung von Verpackungsabfällen ermöglicht eine effiziente Aufbereitung von Kunststoffverpackungen durch mechanisches Recycling.“ Durch Innovationen im zirkulären Produktdesign, neuen, verbesserten Rücknahmesystemen und einer KI-gestützten Sortierung und Aufbereitung könne der Anteil der Verpackungsabfälle, die mechanisch recycelt werden können, zudem deutlich zunehmen, so Kronimus weiter.

Dennoch fallen beim mechanischen Recycling Restfraktionen an, die beispielsweise nur als Ersatzbrennstoff oder mit einem deutlichen Qualitätsverlust weiterverarbeitet werden können. „Besonders problematisch sind Verbundkunststoffe, Multilayerfolien und Kunststoffabfälle aus gemischten Siedlungsabfällen“, meint Kronimus. „Das chemische Recycling ist daher als komplementäres System zum mechanischen System zu sehen, um die aufkommenden Abfallmengen sinnvoll zu verarbeiten und den Kohlenstoff im Kreislauf zu führen“, sagt auch Hendrik Rasch, Director Circular Economy Program, Evonik und ergänzt: „Um chemisches Recycling großflächig zu implementieren, müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen“. Hierbei gehe es nicht um Subventionen, sondern um einen Rechtsrahmen, der der Umwelt hilft sowie der Entwicklung innovativer Techniken und Prozesse. 
Konkrete Vorschläge sind eine Doppelquote und produktspezifische Rezyklateinsatzquoten, um Investitionsanreize zu schaffen. Hierzu gehört laut Dirk Hardow „die Anerkennung einer geeigneten Massenbilanz, also der gezielten bilanziellen Zuordenbarkeit von Sekundärrohstoffen zu Produkten“. Dies sei eine Voraussetzung für die Anrechenbarkeit von Sekundärrohstoffen aus chemischem Recycling in Rezyklateinsatzquoten.

„Rechtliche Rahmenbedingungen und Normen müssen angepasst werden, damit die chemische Recyclingindustrie ihre Stärken ausspielen kann, nämlich die Wiederverwertung von Kunststoffen und die Substitution fossiler Ressourcen“, betont auch Dr. Christoph Gahn.

Die Unternehmen sind sich einig, dass chemisches Recycling ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Hinblick auf eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie ist. „Dadurch können die gesetzten Recyclingquoten und Klimaschutzziele erreicht und damit den Wandel von einer linearen zu einer zirkulären Wertschöpfungskette in der Kunststoffindustrie ermöglicht werden“, so Hardow.