Von Abfall zu Neuware: Wann kommt das chemische Recycling?
Das chemische Recycling gilt als Hoffnungsträger für einen hochwertigen Kunststoffkreislauf. Es ermöglicht die Herstellung neuer Verpackungen aus Kunststoffabfällen ohne Qualitätsverlust. Dr. Alexander Hofmann, Abteilungsleiter für Advanced Carbon Conversion Technologies am Fraunhofer Umsicht, erläutert den technologischen Stand und die Hürden, die noch zu überwinden sind, bevor das Verfahren großflächig eingesetzt werden kann.
Herr Hofmann, was ist chemisches Recycling eigentlich? Können Sie den Vorgang etwas näher erklären?
Chemisches Recycling zerlegt den Kunststoff in kleinere Bausteine, beispielsweise Basischemikalien oder Monomere. Dies kann zum Beispiel durch Solvolyse erfolgen, die auf Lösungsmitteln basiert. Anders als beim lösungsmittelbasierten werkstofflichen Recycling, bei dem der Kunststoff als Ganzes gelöst und wieder zurückgewonnen wird, zerlegt das Lösungsmittel bei der Solvolyse den Kunststoff in seine Grundbestandteile. Bei PET und Polyurethan funktioniert dieses Verfahren sehr gut.
Polyolefine, die häufig in Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden, lassen sich damit aber nicht verarbeiten. Hierfür eignet sich ein weiteres Verfahren, die Pyrolyse. Dabei handelt es sich um einen thermochemischen Prozess, bei dem unter Ausschluss von Sauerstoff hohe Temperaturen bis etwa 650°C angewendet werden, um den Kunststoff in kleinere Moleküle zu zerlegen. Es entsteht ein Öl, das in seiner Zusammensetzung fossilem Öl ähnelt und aus dem die Chemieindustrie wieder Kunststoffe herstellen kann. Schließlich gibt es noch die Vergasung, die ebenfalls thermochemisch den Kunststoff in kleinstmögliche Bestandteile, Synthesegas, zerlegen kann, woraus Methanol und andere Grundchemikalien hergestellt werden können.
Wie ist der aktuelle technologische Stand beim chemischen Recycling? Sind entsprechende Technologien schon ausgereift?
Meines Wissens nach gibt es im Moment noch keine Technologie, die bereits Marktreife erreicht hat. Einige Anbieter haben allerdings große Fortschritte gemacht und stehen kurz vor der Kommerzialisierung von Anlagen mit relevanten Kapazitäten. Die meisten Anlagen haben jedoch noch nicht die notwendigen Größenordnungen im stabilen Dauerbetrieb erreicht.
Welche Vorteile hat das chemische Recycling bei der Verwertung von Verpackungsabfällen?
Chemisches Recycling hat den Vorteil, dass es auch stark vermischte Materialien oder Multimaterial-Verpackungen handhaben kann, bei denen mechanisches Recycling an seine Grenzen stößt. Beispielsweise bestehen Multilayer-Folien aus verschiedenen, miteinander verklebten Schichten, andere Verpackungen enthalten oft Kunststoff-Additive. In solchen Fällen wird das mechanische Recycling schwierig, da sehr energieintensive Prozesse wie Heißwäsche oder lösungsmittelbasierte Trennverfahren erforderlich sind. Chemisches Recycling kann hier Vorteile bieten, da es diese komplexen Materialien in ein Zwischenprodukt umwandeln kann, aus dem dann wieder Kunststoff in Neuware-Qualität entsteht, der auch für den Einsatz im Lebensmittelbereich geeignet ist. Das chemische Recycling kann damit auch verhindern, dass mechanisch nicht recycelbare Abfälle in die Verbrennung gelangen.
Allerdings ist zu beachten, dass beim chemischen Recycling nicht das gesamte Volumen recycelt wird. Bei der Pyrolyse liegt die Ölausbeute z. B. bei max. 80 Prozent. Bei der Solvolyse können dagegen nur spezifische Polymere wie PET oder PA recycelt werden. Und dann ist da natürlich noch die Energie zu berücksichtigen, die für den Prozess und die nachfolgende Aufbereitung der Öle benötigt wird.
Welche Schritte sind notwendig, um chemisches Recycling großflächig zu implementieren?
Beim Aufbau großer Kapazitäten, also dem Upscaling, muss der Energieeintrag in den Reaktoren bei der Pyrolyse berücksichtigt werden. Die Anlagen müssen dabei größer und gleichzeitig effizienter werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Auch das Thema Betriebsstabilität ist wichtig. Denn eine solche Anlage sollte kontinuierlich, also rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche, betrieben werden können. Selbst wenn sich der Einsatzstoff, der bei Abfällen variieren kann, verändert, sollte beispielsweise keine häufige Reinigung erforderlich sein.
Zwei weitere Aspekte sind beim Upscaling wichtig: Damit der Abfall nicht weite Strecken transportiert werden muss, sollten die Anlagen einerseits dort stehen, wo höhere Abfallmengen anfallen. Anschließend muss dann nur noch das Öl zu den Crackern in den Chemieanlagen transportiert werden. Andererseits ist es aus ökonomischer Sicht sinnvoll, die Anlage beispielsweise in einem Chemiepark zu errichten, wo bereits Infrastruktur für Aufbereitungsmöglichkeiten und Reinigungssysteme für Rauch- und Prozessgase vorhanden sind.
Dieses Öl kommt dann in einen üblichen Cracker in Form von Drop-in?
Genau. Es ist aktuell aus ökonomischer Sicht nicht möglich, einen Cracker zu bauen, der nur mit Pyrolyseöl betrieben wird, da die Mengen noch nicht ausreichen und in naher Zukunft wahrscheinlich nie ausreichen werden, um einen Cracker wirtschaftlich zu betreiben. Daher sind Drop-in-Lösungen zunächst sinnvoller.
Wie lässt sich feststellen, welches Granulat aus recyceltem Material besteht, wenn das Pyrolyseöl in einen herkömmlichen Cracker kommt?
Das erfolgt über den sogenannten Energie- und Massenbilanz-Ansatz. Dieser Ansatz wird gerade in der EU-Kommission diskutiert. Bisher war es so, dass man die Menge des eingesetzten Öls äquivalent als Rezyklat klassifizieren konnte. Das können Sie sich vorstellen wie beim Strom: Man kann nicht sagen, dass ein Elektron grün ist und ein anderes nicht. So ähnlich ist es auch hier. Es wird aber diskutiert, wie man die Teile des Öls, die zu Kraftstoffen und somit zu CO2 werden, herausgerechnet werden, um eine präzisere Bilanz zu und damit ein Greenwashing zu vermeiden.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Hofmann.