Weniger Kunststoffe aus Europa: Industrie schlägt Alarm
13.02.2025 Retail Brands Industry Look into Europe Artikel

Weniger Kunststoffe aus Europa: Industrie schlägt Alarm

Erstmals verzeichneten europäische Kunststoffproduzenten auch einen Rückgang bei recycelten Kunststoffen. Für die Verpackungsindustrie ist dieser Rückgang an Rezyklaten eine Herausforderung. Der Verband Plastics Europe Deutschland sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Rollen von Plastikfolien in der Produktion. Die Kunststoffproduktion in der EU ist rückläufig. Die Branche ist besorgt. Der Verband Plastics Europe sieht auch die Kreislaufwirtschaft gefährdet.

Ohne Kunststoffe kommen wichtige Branchen wie Verpackungen, Automobile, Baugewerbe oder Elektronik nicht aus. Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kunststoffindustrie, die derzeit über 1,5 Millionen Arbeitsplätze in 51.700 Unternehmen sichere. Das erklärt der Verband Plastics Europe Deutschland.

 

Drastischer Rückgang

Aktuelle Daten von Plastics Europe zeigen einen drastischen Rückgang der Kunststoffproduktion in der EU um 8,3 Prozent im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 auf 54 Millionen Tonnen. Die Produktion von mechanisch recycelten Kunststoffen ging um 7,8 Prozent auf 7,1 Millionen Tonnen zurück. Allerdings: Der Einsatz von Rezyklaten (Post-Consumer-Rezyklat, PCR, und Post-Industrial-Rezyklat, PIR) stieg seit 2021 um 24 Prozent auf 580 kt (2021: 467 kt) in 2024. Diese Steigerungen wurden maßgeblich durch eine Zunahme der PCR-Mengen erreicht, von 369 kt im Jahr 2021 auf 470 kt im Jahr 2023.

Die Kunststoffproduktion stieg global um 3,4 Prozent an. Der europäische Anteil am Weltmarkt fällt damit auf 12 Prozent ab. Europa hat zwar eine positive Handelsbilanz und exportiert wertmäßig noch immer mehr Kunststoffe, als es importiert. Aber seit 2022 importiert die EU mengenmäßig mehr Kunststoffgranulate und seit 2021 auch mehr Kunststoffprodukte, als sie exportiert. Der europäische Außenhandelsüberschuss in Höhe von 5,4 Milliarden Euro markiert auch in langjähriger Rückschau einen Tiefststand.

Trotz der Tatsache, dass die EU prozentual den höchsten Anteil an kreislauffähigen Kunststoffen global aufweist, der 2023 bei 14,8 Prozent lag, betrug der Anstieg nur 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Flankierend zum Rückgang der mechanischen Recyclingproduktion wurden 2023 in Europa 0,12 Millionen Tonnen chemisch recycelter Kunststoff hergestellt, während die Produktion von bio-basierten und bio-attribuierten Kunststoffen leicht auf 0,8 Millionen Tonnen anstieg. Rechnet man Post-Consumer-Rezyklate ein, liegt der Anteil der zirkulären Kunststoffe in Europa bei 20,6 Prozent.

Portrait von Dr. Christine Bunte, Geschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland. Die wirtschaftliche Entwicklung bedrohe auch die Ziele der Nachhaltigkeit, so Dr. Christine Bunte, neue Hauptgeschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland.
Die wirtschaftliche Entwicklung gefährde auch die Ziele der Nachhaltigkeit. Europas schwindende Wettbewerbsfähigkeit bedrohe die wichtige Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen, so Dr. Christine Bunte, neue Hauptgeschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland. Die rückläufige Industrieproduktion in der EU und insbesondere in Deutschland führte im dritten Quartal 2024 zu einer sinkenden Nachfrage nach Kunststoffen aus Kundenindustrien. Laut dem Statistischen Bundesamt sank die Produktion von Kunststoffen in Primärformen um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal.

Kreislaufwirtschaft erschwert

Eine rasche Erholung der Nachfrage zeichnet sich nach Einschätzung des Branchenverbands derzeit nicht ab. „Besonders bedenklich ist aus meiner Sicht der Rückgang von Exporten und Investitionen, zwei Säulen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Bunte. „Die notwendige Transformation zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft wird unter diesen Bedingungen zusätzlich erschwert. Neben wettbewerbsfähigen Energiepreisen und dem Abbau von bürokratischen Belastungen braucht es daher unter einer neuen Bundesregierung gezielte Investitionsanreize in Kreislaufwirtschaftstechnologien wie der Sammlung, Sortierung und dem Recycling von Kunststoffabfällen.

Denn die europäischen Kunststofferzeuger, wie der Großteil der europäischen Industrie, mit hohen Produktionskosten konfrontiert, verursacht durch teure Energie- und Rohstoffpreise, eine überbordende Bürokratie und die begrenzte Verfügbarkeit von zirkulären Rohstoffen. Wenn die Wachstumsraten nicht wieder steigen, werden die Ziele der Plastic Transition Roadmap nicht erreicht, sind sich die Branchenexperten sicher.

 

„Schlittern in die Abhängigkeit“

Marco ten Bruggencate, Präsident von Plastics Europe und Dow EMEAI, sagt: „Europa schlittert in eine wachsende Abhängigkeit von importierten Kunststoffen, die nicht immer den EU-Standards entsprechen, während europäische Produktionsstätten bereits geschlossen werden. Die harte Realität ist, dass industrielle Aktivitäten und Investitionen in die zirkuläre Kunststoffproduktion aufgrund des schwierigen Investitionsklimas aus Europa abwandern. Dieser Trend wird durch mögliche unzureichend deklarierte Importe weiter verschärft und bedroht unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wir haben nur ein kleines Zeitfenster, um Investitionen zu sichern und unsere Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen.“

Recyclingrekorde

Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen hat einen optimistischeren Blick und betont dabei die Recyclingrekorde. Wie die Zentrale Stelle Verpackungsregister gemeinsam mit dem Umweltbundesamt bekannt gab, stieg die werkstoffliche Recyclingquote für das Jahr 2023 auf 68,9 Prozent.

Vier von fünf Konsumverpackungen aus Kunststoff sind heute bereits hochwertig recyclingfähig. „Unsere Branche hat frühzeitig ihre Hausaufgaben gemacht“, so Dr. Isabell Schmidt, Geschäftsführerin der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. „80 Prozent der in Deutschland recycelten Kunststoffe stammen bereits aus dem Verpackungsbereich. Andere Industrien wie Bau und Automobil müssen nun nachziehen, wenn sie Rezyklate in großem Umfang einsetzen wollen. Denn die Branche beansprucht die Verpackungsrezyklate in Zukunft für sich.“

 

Von Anna Ntemiris, Redakteurin