Viele Händler verabschieden sich von Unverpackt
06.06.2024 Sustainability New Paths Design Start-ups Artikel

Viele Händler verabschieden sich von Unverpackt

Trotz neuer Vorstöße wie von dm schwindet die Zahl von Abfüll- und Unverpacktstationen im Lebensmitteleinzelhandel. Sie sind gut fürs Image, bringen aber nicht die erhofften Umsätze.

Lebensmittel-Abfüllstation in dm Drogeriemarkt. Der Drogeriehändler dm testet in ausgewählten Filialen Abfüllstationen für Lebensmittel seiner Bio-Eigenmarke.

Rund 70 Prozent der Deutschen würden laut einer im Januar veröffentlichten NIQ/GfK-Umfrage gerne mehr Produkte ohne Verpackung kaufen. Möglichkeiten dazu gibt es reichlich: Nach der Eröffnung des ersten reinen Unverpackt-Ladens 2014 in Deutschland sind etablierte Lebensmittelhändler mit Abfüllstationen auf ihrer Fläche nachgezogen.

Frischen Schwung erfährt das Thema aktuell durch Testprojekte bei Rewe und dm. Der Drogeriehändler dm verkauft seit zwei Monaten in 15 Filialen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zwölf verschiedene Artikel. Das Pilotprojekt ist für ein Jahr geplant.

Beide Händler promoten Produkte ihrer Bio-Eigenmarken aus dem Trockensortiment wie Nudeln und Cerealien. Und beide setzen dafür auf das System des tschechischen Startups Miwa. Der Vorteil gegenüber den üblichen am Markt befindlichen Lösungen: Das Umfüllen in der Filiale entfällt. Der Lieferant befüllt die Behälter, und im Markt werden sie direkt in die Stationen eingehängt. Gestartet ist Rewe im November in elf, vorwiegend selbstständig betriebenen Märkten zwischen Köln, Bonn und Aachen. Eigentlich sollte das Pilotprojekt im Mai beendet sein, wird aber „aufgrund der Komplexität der Umsetzung und der Vielschichtigkeit der zu testenden Segmente“ „um weitere Monate“ verlängert, teilt Rewe mit.

Abseits der beiden prominenten Projekte fällt die Bilanz ernüchternd aus, wie die Lebensmittelzeitung berichtet. Die Zahl der Unverpackt-Läden ist 2023 deutlich gesunken. Im Lebensmitteleinzelhandel ist das Bild durchwachsen: Während einige Händler wie E-Center Herkules in Bad Vilbel bei Frankfurt am Main an ihren Unverpackt-Stationen festhalten oder sogar ausbauen, klammern viele Kaufleute gerade bei Neueröffnungen solche Stationen aus.

Andere reduzieren oder beenden das Angebot gänzlich. Grund seien die hohen Umsatzeinbrüche durch die Corona-Pandemie, berichten Kaufleute gegenüber der LZ. Sie setzen zumeist auf das System von Eco-Terra, bei dem der Händler Reinigung und Wiederauffüllung der Behälter übernimmt – wie Tegut, Edeka Haas und Edeka Rees.

2020 ambitioniert gestartet, hat Kaufmann Tobias Haas sein Unverpackt-Regal im Markt in St. Georgen nahe Villingen-Schwenningen sukzessive von drei auf einen Meter Breite verkleinert. Die Ware wurde immer wieder variiert, um Süßwaren und Gebäck ergänzt, vergeblich.

Edeka Haas will nun die Station durch einen Backshop ersetzen. Bei Edeka Rees ist von den anfangs sieben Abzapfstationen aufgrund marginaler Umsätze nur noch die im Markt in Freiburg-St. Georgen übriggeblieben. An ihr will Geschäftsleiter Marius Rees aber festhalten.

Auch Tegut reduziert Unverpackt-Artikel

Auch Tegut rudert zurück. Die Migros-Tochter, die 2019 erstmals eine Unverpackt-Station in ihrem Pilotmarkt in Fulda-Kaiserwiesen eröffnet hat, verringert bundesweit ihre Filialen mit Stationen von 40 auf 25. Und nicht nur das: „Wir reduzieren die Artikelanzahl von rund 140 auf 90 und gestalten die Stationen kompakter und schmaler“, erklärt Ralf Trappberger, Einkäufer Trockensortiment bei Tegut. Die größere Station im Fuldaer Pilotmarkt wird ebenfalls angepasst: von bislang über elf auf nun fünf Meter Breite. Der hohe Arbeitsaufwand für Desinfektion und Wiederauffüllung sei nicht zu unterschätzen, so Trappberger.

„Wie andere Marketingmaßnahmen kann eine Unverpackt-Station auf das übrige Leistungsangebot und das Sortiment positiv abstrahlen“, so Carsten Kortum von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Für Kortum ist die lose Ware nur ein Nice-to-have: „Die Existenz einer Unverpackt-Station ist für die Wahl der Einkaufsstätte kein wichtiges Kriterium.“ Das direkte Konkurrenzverhältnis am POS mit kostengünstigeren verpackten Produkten sieht der Handelsexperte zudem problematisch. Er spricht beim Konsumenten von einer Kluft zwischen Preiserwartung und Kaufverhalten in Bezug auf Nachhaltigkeit: „Der Kunde will eigentlich niedrigere Preise bei Unverpackt, da die aufwendige Verpackung fehlt und er selbst abfüllen muss.“ Doch meist müsse er tiefer in die Tasche greifen.