Polstermaterial aus Dinkelspelzen
Die Industriedesignerin Lisa Scherer entwirft und formt für ihr Start-up Proservation nachhaltige Packmittel aus natürlichen Getreidereststoffen. Die Verpackungsbranche befindet sich im Wandel und diesen möchte sie mitgestalten, sagt sie.
Das Kissen ihres Vaters im Allgäu brachte Lisa Scherer die zündende Idee für ein neues Polstermaterial für Verpackungen. Das Kissen ist weder mit Daunen noch mit Schaumstoff gefüllt, sondern mit Dinkelspelzen. „Ich war während meiner Masterarbeit auf der Suche nach einem Naturprodukt mit Hohlräumen und fand in Spelzen genau das Passende“, sagt Lisa Scherer. Sie hat Industriedesignan der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle studiert und dann an der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart ihren Master in Packaging Development abgelegt. Die Idee mit der Verwendung von Dinkelspelzen half ihr nicht nur zur wissenschaftlichen Abschlussarbeit, sondern war auch gleichzeitig der Start für eine Unternehmensgründung.
Scherer kommt aus einer Unternehmerfamilie, daher sei für sie der Weg in die Selbstständigkeit schon früh eine Option gewesen. „Da passte es, dass ich gemeinsam mit Freunden ein Gründerstipendium erhielt. Der Weg für eine Start-up-Gründung war frei, zunächst konnten wir auch ohne eigene Räumlichkeiten an der HdM unsere Arbeit beginnen“, erzählt Lisa Scherer. Die 35-Jährige ist heute zusammen mit ihrer Schwester Sophia Scherer, eine Verpackungstechnikerin, der kreative Kopf des Unternehmens Proservation. Zwei männliche Kollegen Nils und Henning sind für die Finanzen und Strategische Ausrichtungen verantwortlich. Seit März 2023 ist das Unternehmen ohne Stipendien-Förderung tätig und hat inzwischen ein achtköpfiges Team.
Statt Styropor
Proservation kauft Dinkelmühlen aus der Region Stuttgart die Spelzen ab, Lisa Scherer und ihr Team formen diese dann zu individuellen Packmitteln. Dinkelspelz ist die Hülle, die das Dinkelkorn umgibt und ein Reststoff, der nicht für Lebensmittel geeignet ist. Es wird zum Teil als Einstreu für Hühnerställe und Stallboxen genutzt oder einfach in die Felder gestreut. Dieser Reststoff erlaube mithilfe organischer Bindemittel in wenigen simplen ressourcenschonenden Prozessschritten individuelle Formgebungen, halte gut mechanischen Belastbarkeiten stand und wirke isolierend, so Scherer.
Spelzen sind innen hohl und haben ein großes Volumen. Das natürliche Material eigne sich als Alternative für Styropor oder andere Füllmittel in Verpackungen. „Wir kommen ohne das aufwändige, energieintensive Aufschäumen von Kunststoffen aus, indem wir die natürlich gewachsenen Hohlräume ohnehin anfallender Spelzen für die nötige Polster- und Isolationswirkung des Verpackungsmaterials verwenden“, erklärt die Industriedesignerin. Grundsätzlich seien auch andere Getreidearten wie zum Beispiel Hirse geeignet, doch Dinkel sei in Deutschland am meisten verbreitet und verfügbar.
Honiggläser, Smoothiemixer, Sportutensilien: Die Liste der Gegenstände, die inzwischen in solche Spelzenformen gepackt werden, ist lang. Lisa Scherer designt jede Form. Sie arbeitet an möglichen Weiterentwicklungen, etwa durch dünne Beschichtungen. Als Industriedesignerin habe sie Berührungspunkte mit allen Teilen der Verpackungsbranche. Auch mit dem Maschinenbau. „Manche Männer sind verblüfft, dass ich die Formteile selbst konstruiere. Da merke ich, dass wir in einer jungen Bubble leben, in der alle gleich sind und die Branche eben noch Unterschiede sieht“, sagt sie. Umso mehr findet sie es gut, wenn sich mehr junge Frauen ihren Weg in dieser vielfältigen Verpackungsindustrie finden. „Ich kann nicht anders, ich verfolge immer meine eigenen Ideen und fühle mich wohl dabei. Schön ist besonders dabei, dass wir als Team unterwegs sind und jeder sein Know-how mitbringt“, sagt sie. Für das Verpackungspolstermaterial erhielt das Start-up auf der FACHPACK 2022 den Deutschen Verpackungspreis in der Kategorie neues Material. „Als ich nicht als Preisträgerin, sondern als Besucherin an den Ständen von Ausstellern über unser Material sprach, konnte ich spannende Gespräche führen und interessante Kontakte knüpfen. Ich habe gemerkt, wie offen die Branche für Neues ist und wie interessiert nach einer Alternative zu Styropor gesucht wird“, sagt Lisa Scherer.
Nun wartet sie auf die Patentierung des Materials, die Anmeldung auf nationaler und europäischer Ebene ist bereits erfolgt. Das Unternehmen arbeite derzeit zudem an einer externen Bestätigung der Abbaubarkeit in gängigen Kompostierungsprozessen und der tech-nischen Skalierung des Herstellungsprozesses.
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