- 16.04.2025
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Groß fusioniert, klein verliert – die stille Krise der Verpackungswelt
Wenn Molkereien fusionieren, Schokofabriken schließen und Wurstbuden Insolvenz anmelden, schrumpft nicht nur die Lebensmittelwelt – auch die Verpackung bekommt Risse. Es geht ans Eingemachte, buchstäblich.

Es sind Meldungen, die in der Verpackungsbranche aufhorchen lassen: Arla und DMK haben angekündigt, fusionieren zu wollen. Danone schließt 2026 sein Milchwerk im unterfränkischen Ochsenfurt. Nestlé plant, zwei seiner Standorte in Deutschland aufzugeben. Der Schokoladenhersteller Barry Callebaut macht seine Fabrik in Norderstedt dicht. Der Spreewaldhof konzentriert seine Gurkenproduktion am Standort Schöneiche. Die Unternehmensgruppe Theo Müller gibt ihre Landliebe-Standorte in Heilbronn und Schefflenz bis Sommer 2026 auf. Besonders schlimm trifft es einen Mittelständler aus der Fleischwirtschaft: Meisters Wurst- und Fleischwaren hat vor zwei Monaten ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet. Gehen der Verpackungsbranche die Kunden aus?
„Ja, das bereitet uns Sorgen. Wir beschäftigen uns natürlich mit diesen Meldungen und damit, was sie für uns als Verpackungshersteller von Marken bedeuten“, betont eine führende Mitarbeiterin eines Premiumherstellers aus dem faserbasierten Verpackungssegment. Die deutsche Verpackungsindustrie steht unter massivem Druck, nicht nur, weil Kunden aus der Lebensmittelindustrie wegbrechen. Die Konsolidierung in der Ernährungswirtschaft, Standortschließungen und mögliche internationale Standortverlagerungen setzen eine Kettenreaktion in Gang, deren Auswirkungen die Branche erst zu realisieren beginnt. Dass die Autobranche lahmt und immer weniger Zubehörteile verpackt werden müssen, macht das Problem noch weitreichender.
Fusionen, Verlagerungen, Schließungen
Jüngstes Beispiel: Die geplante Fusion der Molkereiriesen Arla und DMK könnte Europas größten Milch-Giganten schaffen – und einen gewaltigen Kundenblock für die Verpackungsindustrie verändern. Noch sind keine konkreten Standortschließungen bestätigt, doch Brancheninsider gehen davon aus, dass Produktionsprozesse gebündelt und Verpackungsbedarfe neu vergeben werden. Eine solche Fusion bedeutet in den meisten Fällen: weniger Werke, größere Volumina pro Auftrag, weniger Lieferanten. Für kleinere Verpackungshersteller, die bisher einzelne Standorte belieferten, kann dies das Aus bedeuten. „Große Kunden suchen große Lieferanten, da sie verlässlicher liefern können“, sagt ein ehemaliger Key-Accounter aus der Folienindustrie. Das habe sich spätestens während der Pandemie herauskristallisiert. Große Abnehmer möchten damit ihr Versorgungsrisiko mit Packmitteln minimieren. Nur große Unternehmen der Verpackungsbranche können Packmittel und -stoffe aus mehreren Werken liefern und so Engpässe vermeiden („Contingency-Konzepte“). Für kleine Mittelständler aus der Packmittelindustrie bleiben nach Aussagen des Experten nur Nischen zum Überleben. Je nach Grad ihrer Veredlung werden Verpackungen rund um ihren Produktionsort vertrieben. Bei hochveredelten Verpackungen können auch mal 1200 Kilometer zwischen Ursprungs- und Abpackort liegen, aber eigentlich bewegen sich die Distanzen maximal zwischen 300 und 600 Kilometern.
Noch dramatischer ist die Lage, wenn Standorte komplett vom Markt verschwinden, wie es eingangs umschrieben wurde. All diese Entscheidungen betreffen nicht nur Tausende Arbeitsplätze, sondern unter Umständen auch ihre regionalen Verpackungspartner. Ursächlich für die Standortschließungen und -verlagerung sind immerzu die gleichen Argumente: Die schwindende Attraktivität des Standorts Deutschland wegen zu hoher Kosten, Bürokratie und dem Fachkräftemangel. Auch die deutschen Verpackungshersteller sind davon betroffen. Große Fusionen bei Lebensmittelherstellern wirken sich oft zeitversetzt auch auf die Verpackungsbranche aus, die auch derzeit schon mit Überkapazitäten zu kämpfen hat.
Wenn Kunden verschwinden
Die Folgen sind gravierend: Weniger Produktionsstandorte bedeuten weniger Bedarfe an Folien, Etiketten, Flaschen oder Bechern. Die Konsolidierung der Lebensmittelindustrie bedeutet für die Verpackungsbranche einen doppelten Druck: Auf der einen Seite verlieren viele Hersteller Aufträge, auf der anderen Seite entsteht ein harter Verdrängungswettbewerb unter den verbliebenen Lieferanten.
Verpackungsexperten bestätigen: Die Konzentration schreitet voran. „Es gibt da eine gewisse Tendenz. Wenn Kunden fusionieren oder Werke geschlossen werden, schrumpft auch der Markt für Verpackungslieferanten", heißt es aus der Branche. Die Folge: Im Verpackungsmarkt ist ebenfalls mit Konsolidierung, Standortschließungen und Übernahmen zu rechnen.
Doch ein Insider rät zu kämpfen: „Auch wenn ein Produktionsbetrieb ins Ausland verlagert, ist das für einen erfahrenen Verpackungslieferanten kein sofortiger Grund zur Aufgabe. Wenn der Lieferant gute Arbeit geleistet hat und die Materialien auf den vorhandenen Maschinen gut laufen, hat er trotz größerer Entfernung Vorteile – auch bei einem neuen Betreiber“. Eine Aussage, die zumindest Hoffnung macht. Dabei spiele der Betriebsleiter im Werk des Markenherstellers eine wichtige Rolle: „Wenn er in der Vergangenheit zufrieden gewesen ist, kann er den Lieferanten schützen, selbst wenn ein neuer Tender aufgesetzt wurde“, betont der Branchenspezialist.
Zudem hat sich die Rolle des Verpackungslieferanten inzwischen stark gewandelt: Er ist heute viel mehr als nur ein Materiallieferant. Die Marken-Kunden erwarten heute Beratung zu Recycling, Gesetzgebung und Design. Unternehmen wie Tetra Pak haben schon immer nicht nur Maschinen geliefert, sondern auch Produktkonzepte mitentwickelt, die neue Märkte für den Kunden erschlossen haben. Große Verpackungshersteller wie Amcor betreiben heute „Customer Excellence Center“, in denen zum Beispiel Verkaufssituationen im Einzelhandel simuliert werden – inklusive Testkunden.
Die neuen Machtverhältnisse
Fusionen wie die von Arla und DMK verändern die Machtverhältnisse. Der Verpackungseinkauf liegt fortan in zentralen Hand, Standards werden vereinheitlicht, Einkaufsvolumen gebündelt. Das führe dazu, dass Verpackung zunehmend als reine Kostenstelle betrachtet werde – mit möglichen negativen Folgen für Design, Differenzierung und Markenerlebnis, heißt es aus dem Markt.
Gleichzeitig investieren Handelsriesen wie Lidl oder Edeka verstärkt in eigene Produktions- und Verpackungskapazitäten. Die vertikale Integration schreitet voran. Wer den Verpackungsprozess selbst kontrolliert, spart nicht nur Kosten, sondern gewinnt Flexibilität. Auch das bedeutet: Weniger Bedarf für klassische Verpackungslieferanten.
Kampf um Material und Kunden
Hinzu kommt der zunehmende Druck durch neue regulatorische Anforderungen – allen voran durch die geplante EU-Verpackungsverordnung PPWR. Rezyklateinsatz, Recyclingfähigkeit, Standardisierung: Die Anforderungen steigen. Wer nicht schnell genug reagiert, verliert den Anschluss. Besonders kleine und mittelständische Verpacker stehen hier mit dem Rücken zur Wand. „Wer als Letzter kommt, geht leer aus", warnt ein Insider auf Nachfrage. Die Folge: Die großen Marken sichern sich die besten Lieferkonditionen bei Recyclingmaterialien, während kleinere Anbieter teuer einkaufen müssen oder sogar leer ausgehen können.
Verlorene Vielfalt, schrumpfender Markt
Die Kombination aus Konsolidierung, Regulatorik und vertikaler Integration trifft die Verpackungsindustrie ins Mark. „Wenn die Produktion verlagert ist, dauert es Jahre, bis sie eventuell zurückkommt – wenn überhaupt", so ein Marktteilnehmer. Was bleibt, ist ein schrumpfender Heimatmarkt mit sinkender Kundenbasis.
Noch gravierender könnte die bevorstehende Recycling-Realität sein, doch dazu im kommenden Newsletter mehr. Das würde hier den Rahmen springen. Auch das kann eine weitere Verstärkung der Konsolidierung im Verpackungsmarkt auslösen.
Doch ein bisschen Optimismus bleibt, denn gegessen und getrunken wird immer, wie ein geflügeltes Sprichwort in der Verpackungsindustrie weiß. Zudem: In Summe wächst der Absatz von Lebensmitteln in Deutschland seit Jahren leicht. Und besonders im Lebensmittelbereich bleibt die Herstellung meist doch in der Nähe des Markts erhalten und liegt damit nicht außerhalb Reichweite der deutschen Verpackungshersteller. Viele Verpackungsunternehmen produzieren schon heute in beträchtlichen Umfang in osteuropäischen Anrainerländern.
Fest steht jedoch: Die Verpackungsbranche muss sich neu aufstellen, Partnerschaften festigen, technologisch aufrüsten und die Kreislauffähigkeit ihrer Produkte verbessern. Wer jetzt nicht investiert und sich vernetzt, könnte tatsächlich bald Kunden verlieren.
Gastbeitrag von Matthias Mahr, Chefreporter Lebensmittel Praxis und langjähriger Begleiter der Verpackungsbranche