Wandel in der Weißblechindustrie: Dosen werden leichter
Im Interview spricht Clarissa Odewald, Vertriebsvorstand und Vorsitzende des Vorstands des einzigen deutschen Weißblechherstellers, thyssenkrupp Rasselstein GmbH, über Verpackungsstahl und den Wandel in den Führungsetagen.
Seit Juli sind Sie Vorstandschefin der thyssenkrupp Rasselstein GmbH. Wie ist Ihr Werdegang?
Zuvor war ich mehrere Jahre als Bereichsleiterin Vertrieb Übersee bei thyssenkrupp Rasselstein tätig. Vor meinem Wechsel nach Andernach durchlief ich verschiedene Stationen im Einkauf und Vertrieb bei der thyssenkrupp Steel Europe AG in Duisburg. So verantwortete ich die Beschaffung der Massenrohstoffe (Eisenerz und Reduktionsmittel, also alle Rohstoffe, die man für den Hochofenprozess benötig) und die Überseelogistik und leitete die Vertriebssteuerung für das gesamte Business Segment Steel. Für mich war es immer wichtig, in einem Unternehmen zu arbeiten, das Produkte herstellt, die ich im Alltag wiederfinde – zuerst bei Steel, dessen Produkte sich im Auto und Haushalt wiederfinden. Bei jedem Gang in den Supermarkt kann ich nun Dosen sehen, die aus Weißblech von thyssenkrupp Rasselstein hergestellt wurden.
Warum sind in manchen Bereichen der Industrie noch immer weniger Frauen in der Führung?
Als ich 2007 im Rohstoffeinkauf angefangen habe, war ich auf Rohstoff-Einkäuferebene tatsächlich mit die einzige Frau. Der Rohstoffeinkauf war damals eine männerdominierte Welt. Grundsätzlich ist die Stahlindustrie immer noch durch einen hohen Männeranteil gekennzeichnet, was aber vor allem an den Positionsprofilen liegt. Ich denke dabei an Arbeitsplätze am Hochofen, im Stahlwerk oder auch bei uns in der Weißblechproduktion. Allerdings ist das alles immer mehr im Wandel. Denn meiner Meinung nach macht es die Diversität aus. Eine Balance aus Frauen und Männern ist im Arbeitsleben sehr wertvoll.
Ich bin immer gefördert worden, was aber weniger damit zu tun hatte, dass ich eine Frau bin, sondern mit meiner Leistung in Verbindung gebracht wurde. Es kommt auch auf die jeweilige individuelle Situation der Frau an, ob sie in die Führung gehen möchte. Das gleiche gilt für Männer. Mein persönlicher Leitsatz lautet Fordern und Fördern. Hier mache ich keinen Unterschied, ob es sich um weibliche oder männliche Kollegen handelt.
Weißblechverpackungen sind sehr gut recyclingfähig. Dennoch ist Stahl ein großer Energiefresser. Wie löst Thyssenkrupp dieses Dilemma?
In Deutschland liegt die Recyclingquote von Weißblech seit fast 20 Jahren stabil um 90 Prozent. Allein durch das Recycling wird bis zu 70 Prozent Energie bei der Weißblechherstellung im Vergleich zur Primärerzeugung eingespart. Das ist enorm und zeigt, wie wichtig es ist, Dosen richtig zu entsorgen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Stahlverpackung auch wieder in den Materialkreislauf zurückkehrt.
Die thyssenkrupp Rasselstein GmbH trägt selbst dazu bei, den Materialkreislauf effektiv zu schließen. Durch eigene Rückführungssysteme – die DWR - Deutsche Gesellschaft für Weißblechrecycling mbH für den privaten und die Kreislaufsystem Blechverpackungen Stahl GmbH für den gewerblich/industriellen Sektor – sichern wir den Wertstoffkreislauf von Verpackungsstahl in Deutschland.
Und ja, die Stahlerzeugung ist grundsätzlich energieintensiv. Daher ist Stahl ein wesentlicher Baustein für eine nachhaltige Energiewende. Der Kern unserer Transformation ist die Umstellung von Hochöfen und Kohle auf Direktreduktionsanlagen (DR) und grünen Wasserstoff. Kurz gesagt: tkH2Steel. 2027 wird am Standort in Duisburg die erste wasserstoffbasierte Direktreduktionsanlage in Betrieb genommen. Das Ziel ist die vollständige Dekarbonisierung der Primärstahlroute bis spätestens 2045. Thyssenkrupp Rasselstein bietet mit bluemint recycled allerdings schon jetzt ein Produkt mit reduzierter CO2-Intensität an. Die Materialeigenschaften des Weißblechs unterscheiden sich nicht von den bestehenden Qualitäten. Das Produkt zeichnet sich allerdings in der Herstellung durch eine Minderung der CO2-Emissionen von 62 Prozent aus. Durch den Einsatz von Weißblech aus bluemint Steel können die CO2-Emissionen bei der Herstellung einer Dose also signifikant gesenkt werden.
Welche Trends sind derzeit im Segment Weißblechverpackungen zu beobachten?
Wir beobachten einen Trend hin zu CO2-reduzierten Verpackungen. Immer mehr Unternehmen machen sich Gedanken, wie sie sich nachhaltiger aufstellen können. Und der Einsatz von CO2-reduzierten Verpackungen ist ein wichtiger Baustein ihrer Nachhaltigkeitsstrategien. Wir können aber auch sehen, dass der Aufreißdeckel auf Lebensmitteldosen immer verbreiteter ist. Verbraucher schätzen das leichtere Öffnen der Dosen ohne Gebrauch eines Dosenöffners. Daher geht der Trend hier weltweit ganz klar in Richtung Dosen mit Aufreißdeckeln.
Vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch immer mehr in Europa, ist die zweiteilige DWI-Lebensmitteldose stark gefragt. In den USA wurden laut Jahresbericht 2019-2020 des Can Manufacturers Institute in diesem Zeitraum etwa 18 Milliarden zweiteilige Lebensmitteldosen produziert. Für alle diese Trends bieten wir in unserem Portfolio passende Verpackungsstahlgüten an.
Materialreduzierung ist ein Trend: Wie leicht wird Stahl?
Die Weiterentwicklung des Verpackungsstahls ist ein fortlaufender Prozess. Bereits jetzt ist Weißblech bis zu 0,1 Millimeter dünn und entsprechend leicht. Eine dreiteilige Lebensmitteldose aus Weißblech beispielsweise ist heute 29 Prozent dünner und 46 Prozent leichter als vor 30 Jahren. Dadurch spart man Material und letztlich wertvolle Ressourcen. Fast alle unserer Innovationen haben zum Ziel, Dickenreduzierungen bei gleichbleibenden Produkteigenschaften zu ermöglichen.
Mit unserer Verpackungsstahlgüte rasselstein D&I Solid haben wir zum Beispiel die nächste Generation von DWI-Material zur Herstellung von zweiteiligen Lebensmitteldosen in den Markt eingeführt. Dank eines innovativen Fertigungsverfahrens bei der Weißblecherzeugung lässt sich durch den Einsatz dieses Materials bei der DWI-Lebensmitteldose eine Steigerung der axialen Stabilität von 20 Prozent erreichen. Es eröffnet sich dadurch enormes Potenzial für Dickenabsenkungen, was eine Materialeinsparung von bis zu zehn Prozent möglich machen kann. Entsprechend wird die Dose dann leichter.
Zur Person:
Clarissa Odewald wurde in Wilhelmshaven geboren und ist in Neuss aufgewachsen. Nach dem Abitur machte sie zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau und studierte danach Betriebswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit dem Abschluss Diplom-Kauffrau. Die 45-Jährige lebt mit ihrem Ehemann in Düsseldorf und Andernach.