Wenn die Straßenbahn Amazon-Pakete befördert
Paketzustellung per Straßenbahn und Lasten-E-Rad: Die Frankfurt University of Applied Sciences hat in Kooperation mit Amazon Logistics und der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur Letzten Meile vorgestellt.
Dort, wo einst Fahrgäste auf roten Ledersitzen Platz nahmen, liegen nun große gelbe und blaue Versandtaschen, umspannt von grünen Netzen.
Die 50 Jahre alte Frankfurter Straßenbahn des Typs „P-Wagen“ ist mit geringfügigen Umbaumaßnahmen durch Auszubildende der VGF zu einer froschgrünen Gütertram umgebaut worden, die 600 Pakete mit einer Fahrt transportieren kann. In jeder Versandtasche, „Delivery-Paket“, befinden sich im Schnitt 19 Pakete.
Mit E-Lastenrädern an die Haustür
Ganz neu ist die Idee nicht, mit Straßenbahnen anderes zu befördern als nur Personen. Bereits im 19. Jahrhundert beförderte die Tram die Post. Und nach dem Zweiten Weltkrieg fuhr die Gemüsebahn durch Frankfurt, um die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen.
Jetzt ist es der Versandriese Amazon, der die Tram im Zuge des gemeinsamen Forschungsprojekts mit der Frankfurt UAS und der VGF vier Wochen lang als Beförderungsmittel nutzte, um Waren aller Art an die Kundschaft zu bringen. Die Anlieferung der Pakete an die Gütertram erfolgte mit E-Transportern. Elektrische Lastenräder übernahmen die Pakete an zwei Haltestellen in der Innenstadt von Frankfurt und fuhren diese dann an die Haustüren der Amazon-Kunden.
„Jeder bestellt doch gern“, sagte Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) bei der Vorstellung der ersten Projektergebnisse. Da die Verkehrsflächen in den Städten aber begrenzt seien, sei es „eine Frage der Lebensqualität, mit welchen Antriebstechnologien wir uns bewegen“. Das erfolgreich verlaufene Projekt sei ein entscheidender Schritt für die Zukunft der städtischen Logistik in Hessen, sagte der Minister. Das Land Hessen hat das Projekt seit 2018 mit insgesamt einer halben Million Euro gefördert. Auch der Frankfurter Stadtrat Wolfgang Siefert (Grüne) erklärte: „Der Onlinehandel ist ein wesentlicher Treiber des Güterverkehrs. Mit der Gütertram bieten wir einen innovativen Ansatz, um die Paketdienste in Teilen zu substituieren und damit die Umwelt zu schonen.“
Da geht noch mehr
Während des Projekts wurden im Schnitt 4,8 Lastenrad-Touren mit durchschnittlich 67 Paketen beliefert – aufgrund des Pilotstatus sei die Tram stets mit Minimalkapazität beladen worden. Pro Tour wurden die Pakete über eine Strecke von 22,4 Kilometern transportiert. Die Standzeit der Tram wurde im Laufe des Praxistests verändert, weil das Umladen auf die Lastenräder in der Praxis 5 Minuten schneller ablief als die berechneten 10 bis 15 Minuten, berichtete Projektleiter Benjamin Federmann. Den Transport begleiteten stets zwei Personen, die auch fürs Umladen zuständig waren. Hinzu kam der Straßenbahnfahrer.
Die endgültige Bewertung, ob die zuvor mit einem digitalen Zwilling berechneten CO2-Einsparungen von bis zu 56 Prozent tatsächlich erreicht wurden, erfolge erst nach der vollständigen Projektauswertung Ende 2024. Auch die genauen Zahlen zur Lärmreduzierung sollen noch ausgewertet werden.
Amazon befördert im Schnitt 10.000 Pakete innerhalb Frankfurts, erklärt Andre Lütgeharm, Regional Director Operations, Amazon Logistics. Das Unternehmen betrachte das Projekt „als richtigen und wichtigen Schritt zu einer nachhaltigen Paketzustellung in unseren Städten“. Der Zustellerfolg habe bei mehr als 97,5 Prozent gelegen, so Lütgeharm. Es habe weder Beschwerden aus der Bevölkerung noch Sicherheitsbedenken gegeben. Allerdings, so die VGF, sei die Tram auch stets nur vormittags gefahren, wenn das Verkehrsaufkommen geringer ist.
Professor Kai-Oliver Schocke, Präsident der Frankfurt UAS und Logistikexperte, erklärt, dass die Forscher im Vorfeld Daten von vielen Dienstleistern gesammelt hätten, um die Werte zu Lärm und Emissionen in der Theorie zu errechnen. „Die Ergebnisse der Simulation haben sich wunderbar bewahrheitet“, sagt er, verweist aber auf den noch ausstehenden Abschlussbericht. Auch zur ökonomischen Bewertung könnten derzeit keine finalen Aussagen getroffen werden. Fakt sei, dass sich eine erfolgreiche Umsetzung betriebswirtschaftlich rechnen müsse. Juristische und ökonomische Fragestellungen seien die größten Herausforderungen in diesem Projekt. Dürfe ein ÖPNV-Unternehmen Logistik anbieten? Auch diese grundsätzliche Frage stelle sich, so Projektleiter Federmann.
Logistik-Professor Schocke erklärte, man habe Großbäckereien und andere Unternehmen bereits gefragt, ob sie Interesse an einer alternativen Beförderung hätten. „Alle sind grundsätzlich bereit dafür, wollen aber erst ein Preisschild sehen und dann darüber entscheiden, ob dies auch im Einklang mit ihrem Konzept passt.“