Kunststoff ade! Wie die EU-Verpackungsverordnung den Kontinent umkrempeln will
Die Hängepartie ist endlich vom Eis: Die EU-Verpackungsverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation, kurz PPWR) wurde Ende April beschlossen und markiert nach Aussagen der Befürworter einen wichtigen Wendepunkt in der europäischen Umweltpolitik.
Gastbeitrag von Matthias Mahr
Die neuen EU-Regelungen sind in ihrer Reichweite ambitioniert: sie sollen den Abfall verringern und die Umweltbelastung senken. Die Verordnung unterstütze, sagen die Treiber dieser EU-Verordnung, Innovationen im Bereich der Verpackungstechnologien, da Unternehmen jetzt in neue, umweltfreundlichere Lösungen investieren müssten. Dies werde nicht nur die Abfallmengen reduzieren, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen stärken, heißt es aus Brüssel. Ein weiterer positiver Aspekt der Verordnung sei die erhöhte Transparenz für Verbraucher durch verbesserte Kennzeichnungspflichten. Konsumenten sei es dadurch künftig möglich, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen.
Es gibt aber auch erhebliche Kritikpunkte, die seitens unterschiedlicher Wirtschaftsakteure vorgebracht werden. Die Allianz Verpackung und Umwelt (AVU) sowie die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) äußern Bedenken, dass die Verordnung in einigen Bereichen zu restriktiv sei und sie dadurch Innovationen eher behindere als fördere. Ein Hauptkritikpunkt betrifft die praktische Umsetzbarkeit der geforderten Recyclingfähigkeit und des Einsatzes von Rezyklaten, insbesondere im Lebensmittelkontakt, wo hohe Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Materialien gestellt werden.
„Diese Vorgaben könnten besonders für kleinere und mittlere Unternehmen eine übermäßige Belastung darstellen und somit das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt war“, warnt Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer der IK. Nicht nur die Kunststoffbranche befürchtet, dass die strikten Regelungen zu einer Verteuerung der Produktion führen und diese Kosten letztendlich auf die Verbraucher übertragen werde. Vor allem die Bevorteilung faserbasierter Verpackungen ist ein wiederkehrender Kritikpunkt an der nun verabschiedeten PPWR. Viele Regelungen zu Verpackungsverboten, Mehrwegquoten, Recyclinganforderungen und Einsatzquoten für Rezyklate würden nur für Kunststoffverpackungen gelten oder Ausnahmen für andere Verpackungsmaterialien vorsehen, betonen die Verantwortlichen des IK Kunststoffverpackungen. Für diese Ungleichbehandlung von Verpackungsmaterialien gebe es keine Grundlage – die Schlupflöcher unterhöhlen sogar die Ziele der PPWR, heißt es aus dem IK in Bad Homburg. „Offensichtlich ging es der Politik oftmals mehr um Symbolhandlungen gegen Plastik als um die konsequente Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft und die Reduktion des Verpackungsabfalls. Ein Ausweichen zu kunststoffbeschichteten Papierverpackungen, die der Verbraucher als ökologischer empfindet, obwohl sie zum mehr schlecht recyclingfähigen Verpackungsabfällen führen, ist damit leider vorprogrammiert. Wir fordern die Entscheider auf, die Schlupflöcher zu streichen und gleiche Regeln für alle Verpackungsmaterialien zu schaffen“, fordert Dr. Isabell Schmidt, Geschäftsführerin für Kreislaufwirtschaft der IK.
Dr. David Strack, Geschäftsführer beim unabhängigen Zertifizierungssystem „Susycheck“, pflichtet diesen Aussagen bei: „Das Plastik-Bashing hat auch in die letzte Fassung der PPWR Einzug gehalten und könnte die Entwicklung von Verbundverpackungen fördern, die nicht recyclingfähig sind, obwohl die PPWR eigentlich höhere Recyclingquoten wünscht. Der ursprüngliche Plan wurde durch Verhandlungen verwässert. Kunststoffe werden durch Rezyklat-Anforderungen und Mehrwegquoten benachteiligt“. Strack betont im Gespräch mit dem Magazin Lebensmittel-Praxis: „Unternehmen, die vermehrt auf Faserlösungen setzen, zündeln jedoch an einem Pulverfass: Endverbraucher erkennen zunehmend, dass die thermische Nutzung von nicht recycelbaren Papierverpackungen wenig mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Greenwashing entlarvt sich und Unternehmen verspielen ihren Ruf!“ Der ehemalige Edeka-Manager hofft eine Überarbeitung des jetzt beschlossenen Kompromissvorschlags.
Das Europäische Parlament und die Kommission sehen in der PPWR jedoch einen wesentlichen Schritt zur Erreichung der Umweltziele der EU. „Die Verordnung ist ein entscheidender Schritt, um unseren Planeten für künftige Generationen zu bewahren und Europa an die Spitze der globalen Bewegung für nachhaltige Verpackungen zu bringen", so ein Sprecher der EU. Doch während die politischen Ziele klar sind, bleiben Fragen hinsichtlich der praktischen Durchführbarkeit und der Rechtskonformität mit internationalen Handelsnormen offen. Es besteht die Sorge, dass einige Aspekte der Verordnung nicht mit den WTO-Regeln vereinbar sein könnten und die Maßnahmen bestehende nationale Systeme störten, melden Juristenkreise gleichlautend.
Frederique Ries, Mitglied des Europäischen Parlaments und treibende Kraft bei der Verabschiedung der PPWR, hebt die Notwendigkeit einer flexiblen Handhabung der Vorschriften hervor: „Wir müssen sicherstellen, dass wir eine realistische Implementierung dieser Verordnung erreichen, die sowohl die Umweltschutzziele als auch die Bedürfnisse der Wirtschaft berücksichtigt. Nur so kann eine effektive und faire Umsetzung gewährleistet werden."
Die PPWR repräsentiert daher nicht nur eine umweltpolitische Maßnahme, sondern auch eine wirtschaftliche Herausforderung, die wohl ein Umdenken in der gesamten Verpackungsindustrie erfordert. Die endgültige Bewertung ihrer Wirksamkeit hängt davon ab, inwiefern die Verordnung tatsächlich zu einer Reduzierung des Verpackungsabfalls führt und inwieweit sie die europäische Wirtschaft in ihrer Entwicklung unterstützt oder doch hemmt, wie es die PPWR-Gegner eher vermuten. Die PPWR ist ein Balanceakt zwischen ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Tragfähigkeit, der in erheblich Maße die Weichen für die Zukunft der europäischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik stellt. Ob allerdings die PPWR tatsächlich den europäischen Flickenteppich in Sachen Kreislaufwirtschaft beenden kann, bleibt abzuwarten. Schon drohen nach Aussagen vieler Branchenkenner neue nationale Ausnahmeregelungen. Fest steht aber auch: auf alle Marktakteure rund um den Lebenszyklus der Verpackung kommen neue, weitreichende Pflichten durch die Verpackungsverordnung zu. Es bleibt spannend!
Autor: Matthias Mahr, Redakteur Lebensmittel Praxis